Faltblatt "Wenn ein Mensch sich getötet hat..." Hinweise für Angehörige für die ersten Tage; erstellt vom Nationalen Suizidpräventionsprogramm Deutschland und AGUS e.V.
Auszüge aus dem Faltblatt:
Etwa 10.000 Menschen nehmen sich jedes Jahr in Deutschland das Leben. Männer und Frauen, Gesunde und Kranke, Menschen jeden Alters, Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen. Die Gründe und Anlässe für jeden Suizid sind einzigartig, manche sind für die Hinterbliebenen nachvollziehbar, andere bleiben ein Rätsel. Niemand hat das Recht, Ihnen und Ihrer Familie die Schuld zu geben.
Diese Seiten geben Ihnen erste Informationen, was im Umfeld eines Suizids auf Sie zukommen kann und wer Ihnen in dieser schwierigen Situation helfen kann.
Die Polizei muss bei jedem Suizid ermitteln, um die Möglichkeit eines Verbrechens auszuschließen. Die Ermittlungsbeamten versuchen, alle wichtigen Informationen zu sammeln und leiten diese an die Staatsanwaltschaft weiter. Sobald feststeht, dass der Tod nicht durch Unfall oder Mord verursacht wurde, werden die Ermittlungen eingestellt. Diese Entscheidung kann aber nur die Staatsanwaltschaft treffen, deshalb dauert es bis dahin immer mindestens zwei oder drei Tage. Im Rahmen der Ermittlungen geschieht folgendes: Angehörige werden – meist zuhause – zu möglichen Ursachen für einen Suizid und zur Vorgeschichte befragt.
Dinge wie das Tagebuch des/der Toten oder ein Abschiedsbrief können als Beweismittel beschlagnahmt werden. Nach einigen Tagen bekommen Sie diese zurück.
Manchmal werden Angehörige oder Freunde aufgefordert, den Leichnam zu identifizieren. Wenn Sie Angst davor haben, können Sie dies ablehnen und darum bitten, dass jemand anderes das tut. Der Leichnam wird beschlagnahmt, Sie dürfen ihn bis zum Transport in die Gerichtsmedizin nicht berühren oder versorgen. Dort wird der Leichnam auf jeden Fall äußerlich untersucht, aber, jedoch nur in Ausnahmefällen, auch obduziert, um einen Mord auszuschließen. Meist wird der Leichnam nach drei Tagen freigegeben und Sie können ihn von einem Bestattungsunternehmen Ihrer Wahl auf das Begräbnis vorbereiten lassen. Persönliche Gegenstände und die Kleidung der/des Toten werden den Angehörigen spätestens bei Abschluss der Ermittlungen übergeben.
Sie müssen diese schwere Zeit nicht allein bewältigen!
Überlegen Sie, ob es Freunde, Freundinnen oder Nachbarn gibt, die Sie um Hilfe bitten können, und tun Sie das so bald wie möglich. Andere Menschen sind oft dankbar, wenn Sie ihnen ein Zeichen geben, was Sie brauchen. Meist ist es hilfreich, wenn einfach jemand bei Ihnen ist. Benachrichtigen Sie so bald wie möglich vertrauenswürdige Erwachsene, die in den ersten Stunden, Tagen und auch später für Ihre Kinder da sein können, damit Sie die Möglichkeit haben, alles Notwendige zu organisieren. Ansprechpartner für weitere Hilfen können Selbsthilfegruppen für Angehörige nach einem Suizid, Trauergruppen und Beratungsstellen sein. Tag und nach gebührenfrei erreichbar ist die Telefonseelsorge 0800 - 111 0 111 oder 0800 - 111 0 222.
Wenn der Leichnam freigegeben wurde, haben Sie das Recht, ihn zuhause oder im Bestattungsunternehmen aufbahren zu lassen und Abschied zu nehmen. Gute Bestatter erklären Ihnen genau, welche Möglichkeiten der Abschiednahme es gibt. Falls der Körper stark verletzt ist, kann er beispielsweise durch ein Tuch oder mit Blumen abgedeckt werden.
Für manche Angehörige ist es wichtig, Fotos der oder des Toten für später zu haben. Viele Menschen haben das Bedürfnis nach einem solchen Abschied und brauchen ihn, um zu begreifen, dass jemand tatsächlich tot ist. Ein würdevoller Rahmen ist dabei sehr wichtig. Wenn Sie selbst keine Abschiednahme wünschen, ist das auch in Ordnung. Pfarrer aller Konfessionen und freie Redner sind heute vorurteilsfrei in der Lage, Menschen zu bestatten, die sich selbst getötet haben. Als Angehörige können Sie frei entscheiden, ob und wie Sie die Todesart Suizid in der Trauerfeier und den Trauerdrucksachen ansprechen möchten.
Scheuen Sie sich nicht, offen mit Kindern und Jugendlichen über den Suizid zu sprechen. Junge Menschen wollen wissen, was in ihrer Welt geschieht und brauchen die Erfahrung, sich auf Erwachsene verlassen zu können. Wenn ein Elternteil oder Geschwisterkind sich getötet hat, müssen die überlebenden Erwachsenen sich als glaubwürdig und zuverlässig erweisen. Kinder schützen sich selbst vor überfordernden Informationen, indem sie weghören oder spielen gehen.
Jugendliche sprechen meist lieber mit Freundinnen und Freunden als mit ihren Eltern über das, was sie bewegt. Geben Sie betroffenen Kindern und Jugendlichen Zeit und immer wieder neue Gelegenheiten, sich auf ihre eigene Weise mit den Themen Tod, Trauer und Suizid zu beschäftigen. Halten Sie den normalen Tagesablauf mit den für die Kinder üblichen Aktivitäten möglichst aufrecht, damit Ihre Kinder sich darin sicher fühlen können. Suchen Sie dabei die Unterstützung von Freunden und Verwandten, damit Sie Zeit für Ihre eigene Trauer finden.
Sie stehen am Anfang eines Trauerprozesses, der viele widersprüchliche Gefühle und Gedanken bringen wird. Es kann sein, dass Sie sich wie unter einer Glasglocke fühlen und alles unwirklich erscheint oder dass Sie innerlich ganz stumpf sind oder gar nichts spüren. Es kann auch sein, dass Sie sich vor Schreck, Schmerz oder Scham wie zerrissen fühlen.
Wenn Sie in den kommenden Tagen und Wochen nicht schlafen können, stark frieren, nicht essen wollen, Kopf- und Gliederschmerzen haben, müssen Sie keine Angst haben, das sind normale Körperreaktionen auf den plötzlichen Tod eines Angehörigen. Auch heftiges Weinen, intensive Wut, starke Schuldgefühle und andauernde Fassungslosigkeit sind normale Reaktionen. Es ist in der Regel nicht nötig, diese Gefühle und Reaktionen durch Beruhigungsmittel zu unterdrücken. Am besten helfen Ihnen Menschen, die den Schock und die Trauer ohne Vorbehalte mit Ihnen zusammen aushalten.